Donnerstag, 31. August 2017

Applaus für rumänische Sommerabende


Noch streckt er sich, noch will er was, der rumänische, der siebenbürgische, der Kronstädter Sommer. Auch wenn er wird gehen müssen, auch wenn der meteorologische Herbstanfang das schon befehlen will. Wie sang einst Tamara Danz, "Dieser Sommer liegt im Sterben". Und Rilke, ein Menschenleben eher: "Herr: es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß."

Noch aber lebt der Sommer, noch hat er zu ernten. Noch funktionieren Sonnenuhren wie die gewaltig gebogene an der alten, eben gefeierten, evangelischen Kirche Bartholomä.
Noch duften und atmen die Nächte.
Street-Food-Festival bis in die Nacht am Sockel der Zinne, 27. August 2017
Mal himmelhoch in Ausgehlaune, mal bis an die Ränder der Wälder kreativ.

Dafür hier, zum August-Ende, Lied und Applaus:
Mit einem Sommerabendblick über die Stadt, über Nachthimmelhügel, Rathausturmlicht, Zitadellengespenst und Historie; über, gut getarnt, die (Nacht-)Schwarze Kirche.
Und mit dem Ende des sehenswerten Kurzfilms "Cânta" ("Singen") des Ungarn Kristóf Deák von 2016, am Zinnenhang gezeigt im Rahmen der Caravana Filmelor Next.



Teilen

Sonntag, 20. August 2017

Wilder Hafer


Rau soll er sein, der Landstrich und sein Wetter; dem Hafer gefiel´s, erzählt man sich: im Haferland, ein paar Dörfern und Äckern und Hügeln im Kreis Kronstadt und im Nachbarkreis Mures.
Wie fast überall in Siebenbürgen auch hier: Viele sind vor Jahrhunderten gekommen, haben gebaut, sind mehr geworden, und dann, viel später, in großen Mengen wieder gegangen. Manche kamen danach, Andere blieben, füllen ein paar der zahllosen leeren Häuser. Und wieder Weitere kommen wenigstens für sommerliche Stunden, Tage oder Wochen, kommen das erste Mal oder kommen nach Jahren zurück, mit besseren Autos als früher.
Und in den neuen Autos ist  Platz...
Heimatsehnsüchte, Hoffnungen, Helfer werden im Sommer in die Dörfer transportiert, Festzelte, Bühnen und Kultur.
Schön, wenn nicht nur Zugereiste unter sich feiern, sondern für ein paar Stunden Touristen, Sommersachsen und Frühling-Herbst-Winter-Dorfleute nebeneinander an den Tanzplätzen und kurzen Essensmarkenschlangen stehen.
Wobei... Von Ehrengästen wie dem rumänischen Staatspräsidenten Klaus Iohannis und den Stiftungsvätern Peter Maffay oder Michael Schmidt sehen Normalbesucher nichts. Außer Vorzeigepolizistinnen und Kontrollen bei der Dorfeinfahrt. - Und freilich die hergefahrenen Imbisszelte und Bühnen.
Auf einer Bühne am Abend:
"Frau Nachtigall, kleines Vögelein, willst du mir nicht mein Eigen sein?  ---  Wie soll ich dir dein Eigen sein. Ich bin ein klein Wildvögelein."
Das einzige deutschsprachige Lied im Konzert des Acker Quartetts. Dabei ist das, was da durch die Heimwehtuch-dekorierte Kirchenburgscheune fliegt, so eindrücklich, flirrend, haferwetterrau.
Die Vier des Quartetts spielen auch in anderen Zusammenhängen, englischsprachigen Jazz viel, Funk, Musik aus der Welt. Sängerin und Bassist sind Geschwister, geborene Kronstädter Siebenbürger Sachsen. Sie spielen auf Heimattreffen der in alle Winde Verstreuten genauso wie in Bukarester Clubs, in Kirchen oder bei europäischen Festivals.
Und vielleicht ist Siebenbürgen, wie vor langen historischen Zeiten, auch heute wieder zu wild eigentlich, um jemandes Eigen zu sein...? Mindestens für die Dauer eines Liedes, in Deutsch-Kreuz (rumänisch Crit), an einem gewittrigen Sommerabend am Rand der 2017er Haferlandwoche.


Teilen

Samstag, 12. August 2017

Riesen-Wartesaal, poch, still.


Der Himmel wird hell, der Himmel wird dunkel. Hoch ist er. Nur manchmal senkt er sich, weit genug, um selbst niedrige Vorhutberge grau zuzudecken.
Schickt er Boten? Möglich.
An nicht vielen Orten Europas ist der Himmel so groß. Geräumig sein, das muss er auch, muss er über ganz Rumänien. Schon weil, neben mehr als 80 Prozent Christlicher Orthodoxie, anderthalb Dutzend weiterer Religionen traditionell existieren, im sekulären Staat Rumänien.
Zweiundzwanzig Millionen Himmelsstürmer auf verschiedenen Bahnen. Strenge, weniger strenge... . Nichtgläubige fast gar keine, so sagen es die Zahlen.
Besonders viel Platz aber hat der Himmel genau hier: im Rendezvousgebiet von Süd- und Ostkarpaten, in Siebenbürgen, dem Burzenland, in Kronstadt. Auf eine einzelne, vergessene Industrieschornstein-Nadel kann er sich stützen, auf gemäßigt hohe Häuser. Auf den Berg Zinne mit Brasovs Namensbuchstaben, auf Burgberge, den Skilift-besetzten Schuler oder eine ganze Kette Zweitausender, Zweieinhalbtausender dahinter. Sonst ist dieser Himmel frei. Schüttelt einen seltenen Hubschrauber ab wie eine lästige Hummel. Und ist nicht, wie anderswo, umkreist, umschnürt, zerkratzt von Luftverkehr.
Neue orthodoxe Kirche in Weidenbach (Ghimbav), dem Kronstadt-nahen Ort mit dem unfertig schlummernden Flughafen
Zumal Kronstadts länger versprochener Flughafen so auf sich warten lässt. Eine Landebahn bekam er schließlich, nach Jahren, in denen neue, erwartungsfrohe Straßenzüge und goldene, orthodoxe Kuppeln nah aus dem Staub stiegen wie Sonnen.
Und weiter? Ging es, geht es mit dem Flugplatz erstmal nicht. Oder? Doch. Nein. Oder?
Gen Westen (wo auch nicht jedes Detail funktioniert), von der Bauernburg Rosenau, in Nachbarschaft zum Flughafenbautraumort Weidenbach
Ach...
Bestimmt wird er an die Landstraße gebaut von: Godot.
Genau wie der Flughafen in einer anderen irgendwie armen, irgendwie nicht armen, lässigen Stadt mit `B´. Einer nördlicheren, bergfernen, in einem eigentlich durchorganisierten, anderen Land. Nicht BÄR soll der Flughafenname dorten dann sein, wie es hier, an den Bärenwäldern, wie auch dort, an der Wappenbärenstadt, passen würde. Nein, BER soll er heißen, der Flughafen-Irgendwann, dort, bei Berlin.
Mondkalt glänzen da im Norden ganze Hallenlandschaften, im Grunde lange fertig. Zu klein zwar jetzt schon, sagen manche, für die geplante millionenfache Nutzung. Aber rein hallen-räumlich doch enorm, wie für Riesen. (Für die sagenhaften Riesen aus dem Kronstädter Land...?)
Und täte Godot die unfertig wartenden Flughäfen beider `B´-Städte zusammenpacken, wer weiß, würde sicher der beste aller Flughäfen draus.


Teilen

Montag, 31. Juli 2017

Berg- und Tal-große Zeitung


Vielleicht ist diese Stadt  -  eine Zeitung. Verloren von den größten der sagenhaften Hünen, fallen gelassen im Karpatenknie zwischen Burzen-Ebene, Bergrückengrün und Felsenkronen. Eine Zeitung, gelesen, ja, doch ausgelesen nicht.
Auf der Frontseite dieser Zeitung steht, verblichen, in eleganten, alten Lettern: Kronstadt. Daneben, schlank wie ein ungarisches Messer: Brassó. Und oben, flächig, frisch gedruckt: BRASOV.
BRASOV-Schriftzug auf dem Berg Zinne über Kronstadt, von der Aussichtsplattform aus
Und wieviel muss sie mitteilen, so eine Zeitung. Muss geerdet sein, muss bis in goldglänzend neue orthodoxe Kuppeln und verlassene evangelische Kirchenburgen des Umlands reichen; bis in den Karpatenwaldboden und die Ebene um den Burzenbach, so, wie Baumstamm und Wurzeln des Wappens.
Kronstädter Wappen am Katharinentor, dem ältesten noch erhaltenen Tor der Stadtbefestigung
Und muss zugleich nach oben sich heben. Dahin, wo Ideen immer weiter treiben, dahin, wo heute keine Krone mehr einen Kopf beschweren und beschützen mag. 
                        Bara Ausstellung, Kulturzentrum Universität Transilvania, 5 / 2017 

Temporäre Freiluftausstellung zum Zeitraum, in dem Brasov, in dem Kronstadt Stalinstadt hieß. 
Bei allen Verworrenheiten aber, allen komplexen, miteinander verklebten historischen Schichten  -











Stabile Kultur-Seiten zeigt diese `Stadt als Zeitung´ auch. 
Festivalul Promenadolor Brasovului, u.a. mit Freiluftateliers und historischen Stadtansichten an den Promenaden, 7/2017

Viele, trotz Sommerloch.
Bewährte. Ehrwürdige.


Weitdenkende, nahtänzerische oder ranschmeißerische Kultur-Seiten. Populäre. Cineastische.



















Auch solche in eigenwilligeren Farben.
Ob Spielplan, Gastspiel. Playground, Untergrund.
In Clubs, Cafés, Kulturzentren, in Straßen, Stadtmauerparks oder nahen Kirchenburgenorten
Detail von Alina Floroi kuratierter Ausstellung Celest, Casa Muresenilor, 7 2017

Vielleicht ist diese Berg- und Tal- und Straßen-große Zeitung, die mit den drei Namen, so multu-, multi-, mehrspurig, so verworren und komplex, dass sie einer modernen Zeitungskrise einfach wegspringen würde.


Vielleicht geht es also bergauf.





On the Go, oder so. Wie dieser junge Kronstädter Volontär, der zwar kein deutsch, kein englisch spricht, aber die hug, Umarmung, ganz frei, ganz unvermittelt in die Fußgängerzone bringt; englisch, rumänisch, mit stummen Engelszungen.



Teilen

Samstag, 29. Juli 2017

Hünenhund und Wolkenschaf


Gewitter jagen Hitzetagen nach wie wildgewordene Hunde. Grollen, bellen, Felsen-hoch. Schnappen nach Luft mit feuchten Nasen. Leise. Laut. Rasend zwischen Dächern und Bergen. Nachtschreck-finster, plötzlich, Mondzacken-hell, plötzlich, immer wieder.          
Doch manche Horde Gewitterhunde wirkt... wie abgerichtet. Dressiert von den Hünen vielleicht, die den Sagen nach weit vor Rumänien in Siebenbürgen lebten, und sich mitunter noch erste Sachsensiedler in die Schürzentaschen steckten, und mit ihnen von Berg zu Berg sprangen in alter Zeit.  
Detail aus Glasinstallation von Agata Secelean: "Rain Calling, Romanian Ritual", ausgestellt im Bistro de l´Arte 7 / 2017
Und gezähmte Hünenhöllenhunde wüten und bellen dann, wenn es etwas weniger stört. Ganz früh am Morgen, wenn alles noch schwarz, später grau, wenn der Stadtschlaf noch tief ist, zu tief, um Krach und Schreck, um Traum und Wach zu unterscheiden. 
Genauso war es, mehrere Tage hintereinander. Gewitter jeweils zwischen Nacht und Sonne, zwischen 2, 3, 4, 5 Uhr. Die Riesen  - wer weiß, vielleicht um aufzuräumen für kommende große Feiern? -  sie müssen ihn noch einmal aufgesucht haben, den Wald, den Himmel. Haben ihn mit Sachsenfleiß gewaschen und gebügelt und gekämmt, haben die Tage behängt mit weißen, grünen, blauen Tüchern aus herrlichstem Sommer. (Nur selten auch mit Wolkenschleiern für die schüchternen unter den Bergen.) Und haben nachts, so spät, dass es schon wieder früh war, ausgiebig ihre Gewitterhünenhunde rennen lassen. Wer weiß, vielleicht, um ausgerissene Schäfchenwolken zu hüten.
Theateraufführung (rumänisch und deutsch) Kronstädter Schüler, Kulturzentrum Reduta 6/2017


oder andere...
Vitrine in historischer Spielzeugausstellung, Casa Muresenilor, 5 / 2017
Wolkenschaf...

...hat sich wohl fangen lassen.

















In dieser Stadt der Kultur...


















vor den Hängen der Hirten.


Teilen

Mittwoch, 12. Juli 2017

Die Glücklichen und die Vergessenen


Vergesslich sind wir. Nicht nur bei allesschmelzender Hitze. Nicht nur, wenn wir alt sind oder dement, und amtlich schwächer werden dürfen. Nicht einmal nur, was die schlechten Nachrichten betrifft, die verbeulten, rostigen Nachrichten-Schnellzüge, die weiterrattern von Krawall zu Hunger, zu Feuer, zu Bombe, zu neuen Ministern, zu falschen Entschlüssen, weiter, weiter. Wir vergessen, was noch alles zu tun ist. Wir vergessen, wie oft wir uns schon gesagt haben, dass wir nicht vergessen sollten: zum Beispiel, wie schön es ist, wenn etwas funktioniert. Kopf, Beine, Krankenversicherung, Vater Staat. Immer wieder vergessen wir, dass wir nicht vergessen wollten, wie gut es uns geht. 














Da ist neulich die Frau, die diese Püppchen herstellt und verkauft. Umlagert von Sonne und Zeltschatten, von Bündeln aus Ohrringen und Ketten. "Where do you come from?", fragt sie. "Oh, Germany?" Deutschland, sagt sie, ach ja, da, wo alles seine Ordnung hat." Ein wenig müde klingt ihre Stimme, und so, als spräche sie von einer weit entfernten Welt.  
Hinter ihr die Fransen der Stadt, eine große, hügelgesäumte Weite. Burzenland. Vor ihr Bierzeltbänke. Musik. Und Mauern, majestätisch angeschrägt, hoch. Festungsmauern. Die alte Wächterzitadelle, Schlossbergfestung.
Prominent über der Stadt. Und doch in städtischen Touristenblättern verschwiegen, als wäre sie nicht existent.
Nur in älteren Schriften taucht sie auf. Bis vor ein paar Jahren beherbergten ihre Höfe noch touristen-`historisch´ ausstaffierte Restaurants. Und heute  -  bröckelnde Staffagen, für nichts und niemanden mehr. Geschlossen.
Ein wahrer Schloss-Geist, ein Geisterschloss, umwölkt von Geschichte, Belagerung, Knast; doch eigentlich vergessen, weggeschlossen hinter pseudostarken Burgtüren.


Und diese Art Geister sind nicht selten im Land.

Je genauer man hinsieht, desto häufiger findet man sie.
Wände mit Moosbärten, mit Rissen und Farbdosenlinien statt mit Familienbildern, Gardinen oder Nachttischlampen. Häuser, die leerstehen seit Jahr und Jahr und Tag. Stuckverzierte genau wie nüchterne, Fabrikhallen genau wie Häuser von Politikern, Dichtern, Geschichtsbuchmenschen.

Viele dieser Gebäude sind MONUMENT ISTORIC, beschildert, gelistet auf für intensiven Denkmal-Schutz zu langen Listen.
Die Zeit schreitet fort, rast, radelt, holpert. Ist vielleicht hier in Siebenbürgen eine andere Zeit. 
"Zögernd nur schlagen die Uhren", heißt es beim Kronstädter Dichter Adolf Meschendörfer, "zögernd bröckelt der Stein." 
Und doch legt die Zeit nie ihre gefährlichen Waffen ab, ihre Zähne. Sie nagt an Fenstern, Wänden, Dächern. (Zusammen mit ihren Gehilfen, Wind, Wetter oder Schrottdieben zum Beispiel.)  - Alles, während die Häuser zu warten haben. Warten, dass Richter und Anwälte arbeiten, dass schwierige Kämpfe zu Ende gefochten werden, zwischen Gesetz und Gesetz und so-so. Zum Beispiel: Ein Gesetz erlaubt Mietern bald nach der Wende, ihre Wohnungen preiswert vom Staat zu kaufen. Ein anderes gibt den vorkommunistischen Besitzern Rückgaberecht. Und nun? Nichts passt zusammen, man prozessiert, streitet, wartet. Die Doppelbesitzhäuser sind derweil wie auf dem Abstellgleis geparkt. Manche bewohnt, viele leer, und keiner, auch nicht der Staat, hat Lust, in so unklarer Lage mehr als hie und da einen winzigen Pinsel in die Hand zu nehmen.
Für tausende Häuser ein Problem, in Siebenbürgen und im ganzen Land. Am dichtesten gedrängt naturgemäß in der millionenstarken Hauptstadt. "Sad, empty buildings", sagt dort Stadtführerin Alina, leise.
Lieber zeigt sie "lucky houses": die, die eben genau das sein dürfen: Häuser. Keine vergessenen, einsamen Gespenster, keine windlöchrigen Ziegelhaufen. Häuser mit dichten Dächern und Wänden, für Menschen, die nicht unbehaust sind.
Ja, erinnern wir uns, wie glücklich so ein Haus.



Teilen